TomsDiner - So, 8. Jan, 04:28

Früher hatte ich mehr Zeit. War nicht ständig erreichbar und Langeweile wurde nicht mit Daddeln tot gemacht.
Früher war vielleicht nicht alles besser, aber ein paar Sachen schon. Dort wo ich früher als Kind immer gespielt habe, wir nannten es Distelacker weil dort eine Distel neben der anderen wuchs, da stehen heute Einfamilenhäuser. Eins neben dem anderen. Und passenderweise haben sie die Straße die dort gebaut wurde auch gleich Distelacker genannt.
Natürlich war es kein Spaß erst 10 Minuten zur Bushaltestelle zu laufen um dann festzustellen das man grade den Bus verpasst hatte. Wobei die Bushaltestelle ja nur der Anfang einer langen "Reise" in die Stadt war. Nach dem Bus kam noch die Straßenbahn (Tram). Aber dafür hatte man sich damals weder über hohe Spritpreise geärgert noch musste man 10 mal schauen bevor man über die Straße ging. Gab ja nur wenige Autos damals. Staus gab es so gut wie keine. Wenn man einmal unterwegs war, ging es meist nonstop bis ans Ziel.
Gut, das Freibad welches im Sommer zum zweiten Wohnzimmer wurde bot weder Wellnessbereich noch Drinnen- Draussenbereiche. Auch war das Wasser, wenn überhaupt, von der Sonne aufgeheizt. Auf wohlige 15 Grad.
Aber dafür gab es dieses Freibad wenigstens noch. Heute stehen auch dort Einfamilienhäuser. Zu gemacht, wegen den Kosten. Die Alternativen waren: Eintrittpreis von 1 Euro auf 4fuffzich zu erhöhen um die Kosten zu decken oder das Freibad schließen.
Am Büdchen (Trinkhalle/Kiosk) haben wir uns immer Lakritz für nen Pfennig das Stück geholt. Oder Weingummi. Oder Kaugummi. Gab ja nicht so viel zur Auswahl. Klar, auch heute gibt es noch Lakritz, Weingummi und Kaugummi. Aber auch Telefonkarten, 20 verschiedene (Jugend-)Zeitschriften, Jugi-Oh bis Dudido und Diddle. Da weiß man schon gar nicht mehr für was man sein hart erspartes Taschengeld ausgeben soll.

Stimmt schon, früher war nicht alles besser. Aber vieles war ruhiger, entspannter und einfacher. Heute dreht sich die Welt zig mal schneller. Früher habe ich mir keine Gedanken um Gammelfleisch, Antiterrorgesetze und Atomkraftwerke gemacht. Ich brauchte auch kein Studium um mein Auto anzulassen. Überhaupt Auto. Das konnte ich noch selber reparieren. Heute fahr ich für einen einfachen Glühbirnenwechsel in die Werkstatt.
Ich gehe mal davon auss das es früher wesentlich mehr Giftstoffe und krebserregende Weichmacher im Plastik gab. Es hat auch niemand danach gefragt wo die Kartoffeln und das Fleisch hergekamen. Trotzdem lebte man entspannter. Denn es hat einem ja auch niemand gesagt was da so alles drin war.
Früher hatten wir weniger Sorgen. Und es ist nicht das Gift in den Sachen das uns krank macht und umbringt. Es sind die Sorgen die wir uns täglich machen, die an unerer Gesundheit zehren. Das Rumhetzen auch noch das letzte bisschen an neuen Erfindungen mitzubekommenund alles mal gesehen zu haben. Früher reichte es wenn man im Urlaub in den Schwarzwald oder an die Sieg fuhr. Da war man nach ein paar Stunden mit der Bahn da. Heute geht es 20 Stunden im Flieger auf andere Kontinente, dann ab ab ab, los los schnell schnell. Das sehen wir nie wieder, wir müssen da noch hin und dort noch, dies noch sehen und jenes. Nächstes Jahr ist der nächste Kontinent dran, wir haben doch keine Zeit.

Früher war nicht alles besser. Aber die Zeit, davon hatten wir einfach mehr.

PS: Das Design ist wirklich gut geworden. Und nachträglich danke für die Neujahrsgrüße. Bin leider noch nicht dazu gekommen sie zu beantworten, hatte einfach wenig Zeit und viel im Kopf. Wäre mir früher nicht passiert ;)

dnepr - So, 8. Jan, 09:02

na, ich weis nicht

anscheinend haben wir eine sehr unterschiedliche kindheit erlebt.
natürlich gab es früher auch viele gute dinge.
mir hat es zum beispiel immer sehr viel spaß gemacht in der schule gehänselt zu werden und fast täglich mit einen blauen auge oder einer blutenden nase nach hause zukommen . meine mutter fand es bestimmt auch witzig mich mit dem fahrrad zum arzt zu bringen, weil es damals noch nicht so viele autos gab .
auch die gürtelrose die ich, ohne wirklich wirksame medikamente, überstehen durfte hatte natürlich einen gewissen reiz.
auch war es immer ein ganz besonderes vergnügen holz für den riesigen kohleofen in unserem keller zuhacken. briketts waren damals schon nicht um sonst.
und unsere zeit mussten wir auch nicht mit playstation oder gameboys totschlagen. dafür hatten wir aber in der nähe einen imbissbudenbesitzer der es mit dem jugendschutz nicht so genau nahm und den es auch nicht störte wenn wir uns mit 5 man eine portion pommes teilten. solange wir den rest unseres taschengeldes in seine flipper oder geldspielautomaten steckten.
klar war damals nicht alles schlecht . auch wir hatten unseren eigenen abenteuerspielplatz .
bei uns hieß er allerdings lehmloch und um ihn zu erreichen mussten wir einen bahndamm überqueren . unterführungen gab es dort erst später, vorher mussten erstmal 2 kinder (während meiner kindheit, wie viele davor und danach weis ich nicht) so wie eine ältere frau die ihren hund retten wollte (und ein hund der sich nicht retten lassen wollte) ums leben kommen . wie hoch die dunkelziffer bei hunden ist kann ich natürlich auch nicht sagen . besagtes lehmloch wurde später natürlich auch zugebaut , allerdings musste der abraum als sondermüll entsorgt werden. damit erklärt sich natürlich auch warum dort außer ein paar vereinzelten bäumen und sträuchern nie was anständiges gewachsen ist.
in diesem lehmloch hat übrigens schon mein vater als kind gespielt, unter anderem auch mit handgranaten und was man nach dem krieg so gefunden hat . auch er meinte immer das früher alles besser war.
mit den autos und dem gammelfleisch gebe ich dir recht.
damals waren wir froh wenn es überhaupt mal fleisch gab...
ne, jetzt fang ich an zu übertreiben , ich will nicht behaupten das es früher schlechter oder besser war. es war einfach nur eine andere zeit und in der erinnerung verklärt sich der blick gerne. meine kindheit war auch nicht so düstern wie es sich hier vielleicht jetzt anhört. ich habe nur bewusst mal versucht ein paar negative aspekte rauszuarbeiten.
tatsache ist, auch unsere kinder und deren kinder werden ihren kindern noch erzählen dass früher alles besser war.

Ps. auf das neujahresschreiben habe ich auch keine antwort erwartet. war ein lieblos formuliertes rundschreiben .20 mal kopiert und in jedes blog geworfen. solche feiertage regen nicht gerade meine fantasie an.
danke für das lob , war nicht mein verdienst. ich habe dafür meine designer.;)
blackconti - So, 8. Jan, 22:54

@TomsDiner, @dnepr

ihr habt ja beide so recht. genauso war's bzw. ist es. und ich sitz' jetzt hier mit einem kopf voller erinnerungen und voller bewunderung, wie ihr das so kompakt und anschaulich in den pc gehämmert habt. grosse klasse!
TomsDiner - Fr, 13. Jan, 02:05

Mag sein das meine Kindheit anders verlaufen ist, so ganz rosig war sie aber auch nicht immer.
Normalerweise sagt man ja, dass man sich an schlechte Erfahrungen besser erinnern kann als an gute. Die Tassee Kaffee die im Cafe viel zu teuer ist bleibt halt länger im Gedächtnis als das Stück Kuchen das man beim Bäcker zu wenig bezahlt hat. Deswegen frage ich mich, ob das mit dem verkärten Blick zurück wirklich so ist.

Früher war vielleicht nich alles besser, aber wir wussten weniger. Wir, damitmeine ich niemanden persönlich, sondern die Menschen allgemein. Wer weniger weiß, der macht sich auch weniger Sorgen.
Schau dir mal die Autos an mit denen wir früher unterwegs waren. An heutigen Standards gemssen war es der Tod auf 4 Rädern. Ungefährlich war es ja wirklich nicht sich damit in den Verkehr zu begeben. Trotzdem war die Werbung für sie von positiven Emotionen erfüllt.
Heutzutage wird nur noch damit geworben wie sicher die Autos sind. Wenn ein Auto weniger als 14 Airbags hat, dann wird es schon als Todesfalle dargestellt. Ich komme immer in Versuchung mir mal so ein Neuwagen auszuleihen und absichtlich gegen einen baum zu fahren. Nur um zu sehen ob da wirklich überall Airbags raus kommen, der Gurt sich strafft und die Warnblinklicher angehen.

Früher war ich einfach glücklicher weil ich sorgloser war. Ich habe mir nicht so oft und so viel einen Kopf drum gemacht "was wäre wenn". Ich habe mich auch nicht ständig gefragt ob ich dies oder jenes noch essen kann und wo es her kommt oder wer dafür leiden muss.
Vieles war schlechter, die Zustände schlimmer und die meisten Sachen giftiger. Das stimmt schon. Doch was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.
Etwas nicht zu wissen, mir über bestimmte keinenKopf zu machen, vor etwas keine Angst zu haben, dass ist für mich auch ein Stück lebensqualität. Und genau das ist heute weniger möglich als früher.
dnepr - Sa, 14. Jan, 00:02

TomsDiner möglich

nein, ganz sicher dass du mit den meisten dingen recht hast. besonders was die airbags und das teilweise schon panikartige gesundheitsbewustsein betrieft.
was ich eigentlich meinte war das der satz „früher war alles besser ,meist dem satz „ das hätte es früher nicht gegeben“ folgt oder vorhergeht.




auch die PC spiele waren früher besser.
Budenzauberin - So, 15. Jan, 14:36

Hallo, ihr beiden.

Huch, wie konnte mir eure schöne Unterhaltung entgehen?
Macht mal weiter, hört noch nicht auf, bitte.

Und THX for Trackbacking, Herr Dnepr. ;-)
dnepr - So, 15. Jan, 23:27

reine faulheit

ich hatte keine lust das alles bei dir noch mal zu schreiben

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